INTRODUCTION

POEM. refers to an experiment delivered by the biochemist Stanley Miller in the 1950s in support of the Darwinian theory of evolution, whereby he considered the origin of life as a transformation from inorganic to organic chemistry. In POEM. Thomas Feuerstein (*1968) simulates the experiment. From the 'primal soup of life' he will distill an alcoholic substance which eventually will even be drinkable. A cycle commences ....
'Ursuppe' und 'Schwarze Raucher
Zur Ausstellung POEM. von Thomas Feuerstein

Die Installation von Thomas Feuerstein vereint – in einem streng wissenschaftlichen Kontext – das klassische Konzept der Ursuppe und Uratmosphäre mit der Wirkungsweise von Schwarzen Rauchern als beschleunigende Katalysatoren der biomolekularen Genesis. Der technische Aufbau spiegelt somit im Labormaßstab ein wahrscheinliches Szenario wider, wie es auf unserem Planeten vor über drei Milliarden Jahren zur Neogenese der molekularen Vorstufen komplexer Lebensformen kommen konnte.

Die in der Biologie klassische Formulierung für den Beginn des Lebens lieferte der US-Wissenschaftler Stanley Miller. Gemäß der Ursuppen-Theorie entwickelten sich aus einem Gemisch von Methan, Ammoniak, Wasser und Wasserstoff in Reaktion mit elektrischen Funken organische Stoffe in den irdischen Ur-Ozeanen. Das klassische Experiment hatte das Ziel, in einem einfachen Glaskolben die Verhältnisse auf der unwirtlichen Urerde nachzuahmen, über deren Ozeane Schwaden dichter Vulkangase zogen, während Blitze die Atmosphäre durchzuckten.

In der simulierten, brodelnden Ursuppe waren aber nicht einfach irgendwelche chemischen Verbindungen entstanden, vielmehr ließen sich Aminosäuren, Ketone, Aldehyde oder Harnstoff nachweisen – allesamt Schlüsselverbindungen lebendiger Organismen. Analog zu Millers Experiment vor 57 Jahren, lässt auch Feuerstein in einem gläsernen Kreislauf Wasser kochen, dessen Dampf sich mit dem zugeführten Gasgemisch vermengt. Elektrische Funkenschläge bilden natürliche Blitze nach. Der Dampf kondensiert, tropft in den Kolben zurück und der Kreislauf beginnt von neuem. Bereits nach zwei Tagen findet sich die einfache Aminosäure Glyzin in seinem Reaktionsgemisch, ein Bestandteil von Proteinen. Zucken die künstlichen Blitze eine Woche lang, überzieht sich die Innenwand des Kolbens mit einer öligen Flüssigkeit, das Wasser selbst färbt sich gelblich-braun. Die automatische Probenanalyse zeigt, dass sich nun neben Glyzin weitere Aminosäuren und andere organische Verbindungen in der kondensierten Ursuppe angereichert haben.

Einen Teil des so gewonnenen Kondensats führt Feuerstein laufend dem zweiten funktionellen Aufbau der Installation zu, einem Schwarzen Raucher im Labormaßstab. Die dabei abgezweigte Flüssigkeit aus der experimentellen Ursuppe lässt Feuerstein kontinuierlich durch nachströmende Mengen ersetzen: in Analogie zur globalen Vereisung der präkambrischen Urerde – in Form von glazialem Schmelzwasser.

Schwarze Raucher sind natürliche, hydrothermale Quellen auf dem Meeresboden in mehreren tausend Metern Tiefe. Sie entstehen, wenn Seewasser in die Kruste des Meeresbodens eindringt, erhitzt wird, mit dem Krustengestein reagiert und mit bis zu 400° C wieder zum Meeresboden aufsteigt. Entdeckt wurden sie erst 1977. Bis dahin war man davon ausgegangen, dass in der völlig lichtlosen, nährstoffarmen und lebensfeindlichen Umwelt der tiefen Meere kaum Leben existiere. Die Schwarzen Raucher aber reichern das umliegende Meerwasser mit einem Cocktail aus verschiedenen chemischen Elementen an, vor allem mit Helium, Schwefel und Eisen - aber auch mit wichtigen Spurenelementen wie Mangan, Kupfer und Zink sowie anderen Mineralien, die als Katalysatoren die Neuentstehung und Veränderung von organischen Molekülen ermöglichen. Nach neuesten Erkenntnissen bildeten vor allem die lehmartig strukturierten Eisen-Schwefel-Komplexe der unterseeischen Schlote die perfekten Keimzellen für die Entstehung der allerersten Lebensform. In gewisser Weise entspräche dies sogar der Theorie von „Adam“ – zumindest wenn man seine Bedeutung aus dem Hebräischen herleitet: „adamah“ gilt dort als Bezeichnung für die rötlich-braune Erdschicht, also für Ackererde oder Humus. Es ist jedenfalls höchst bemerkenswert, aber wissenschaftlich erklärbar, dass auch heute noch eine erstaunliche Vielfalt an primitiven Lebensgemeinschaften rund um die heißen Tiefseeschlote vulkanischen Ursprungs angesiedelt sind. Trotz der für höhere Lebensformen gänzlich unwirtlichen Bedingungen bei extremen Drücken und Temperaturen, in absoluter Finsternis, ohne Sauerstoff, aber mit stark toxischen Gasen und Schwermetallen angereichertem Meerwasser.


In der in POEM. gezeigten experimentellen Anordnung ist den beiden Genesisprozessen ein fraktioniertes Aufreinigungsverfahren für eine ausgewählte organische „Ursubstanz“ nachgeschaltet. Exemplarisch wird hier dargestellt, wie aus dem Ursuppenmolekül Ethanal an der katalytisch reduzierenden Matrix des Schwarzen Rauchers Ethanol, also Alkohol, generiert wird. In einem mehrstufigen Destillationsprozess wird dieses Biomolekül von allen anderen de novo entstandenen Verbindungen getrennt und als genussfähiges Reinextrakt gewonnen.

Thomas Seppi (2010)